Eheschließung nach Diagnose einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung spricht für Versorgungsehe

Bei der Beurteilung der Beweggründe für eine Heirat kommt es nicht darauf an, ob das Überleben des an einer schweren lebensbedrohlichen Erkrankung leidenden Versicherten länger als ein Jahr nach der Eheschließung wahrscheinlicher war als sein Tod und ob die Eheleute von einer mindestens einjährigen Ehedauer ausgehen konnten. Leidet ein Versicherter zum Zeitpunkt der Eheschließung an einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung und wurde der konkrete Heiratswunsch erst nach Bekanntwerden dieser Erkrankung gefasst, spricht dies für die Richtigkeit der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI. Ein besonderer, gegen eine Versorgungsehe sprechender Umstand kann nicht schon in einer langjährigen und von Liebe geprägten Beziehung gesehen werden. Dies entschied das Sozialgericht Stuttgart.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und der verstorbene Versicherte lernten sich im Jahr 2002 kennen. Im Jahr 2010 erkrankte der Versicherte an Krebs, wobei im Mai 2011 bereits fortschreitende Knochenmetastasen festgestellt wurden. Im September 2011 heirateten die Klägerin und der Versicherte. Der Versicherte verstarb im Februar 2012. Am 9. März 2012 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwerrente, welche von der Beklagten unter Verweis auf § 46 Abs. 2a SGB VI abgelehnt wurde. Nach dieser Vorschrift haben Hinterbliebene keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Hoffnung auf eventuelle Heilung zur Widerlegung der Vermutung von Versorgungsabsichten nicht ausreichend Das Sozialgericht Stuttgart wies die Klage ab. Zur Überzeugung des Gerichts sei nicht nachgewiesen, dass die Ehe mit dem Versicherten aus anderen als aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei. Insofern habe der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund der Metastasierung unzweifelhaft an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten. Allein die nachvollziehbare Hoffnung der Klägerin und des Versicherten auf eine eventuelle Heilung oder einen möglichst mehrjährigen Krankheitsverlauf sei nicht ausreichend, um die gesetzliche Vermutung der Versorgungsabsicht zu widerlegen. Allerdings können die Dauer des vorherigen nichtehelichen Lebensverhältnisses und das Bestehen einer Liebesbeziehung ein mögliches Indiz dafür sein, dass keine Versorgungsehe gegeben sei.
Langjähriges Zusammenleben "ohne Trauschein" lässt auf vorherige bewusste Entscheidung gegen die Ehe schließen Ein besonderer, gegen eine Versorgungsehe sprechender Umstand liege jedoch nicht darin, dass die Klägerin und der Versicherte schon seit einigen Jahren in häuslicher Gemeinschaft lebten. Dieser Umstand spreche vielmehr eher umgekehrt dafür, dass alleiniger oder überwiegender Zweck der Ehe gewesen sei, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Denn einem langjährigen Zusammenleben "ohne Trauschein" liege die langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Sozialgericht Stuttgart
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:20.10.2016
  • Aktenzeichen:S 17 R 2259/14

Sozialgericht Stuttgart/ra-online