Verdachtskündigung bei "hoher Wahrscheinlichkeit" der Täterschaft aufgrund schriftvergleichenden Gutachtens unzulässig

Spricht ein schriftvergleichendes Gutachten mit "hoher Wahrscheinlichkeit" für die Täterschaft eines Arbeitnehmers, ist eine Verdachtskündigung unzulässig. Ist die Urheberschaft eines Mobbings-Schreibens nicht eindeutig, so dass eine Tatkündigung nicht in Betracht kommt, kann stattdessen keine Verdachtskündigung ausgesprochen werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Oktober 2014 fand die Mitarbeiterin eines Seniorenzentrums in ihrem Postfach eine Trauerkarte, die mit schwarzen Trauerflor und außen mit den aufgedruckten Worten "In stiller Trauer" sowie mit den handschriftlichen Worten "für Dich (bist die nächste)" versehen war. Der Arbeitgeberin war es in der Folgezeit trotz einiger Bemühungen nicht möglich, die Urheberschaft der Karte zu klären. Da sie aber eine Vermutung hatte, beauftragte die Arbeitgeberin Mitte März 2015 ein schriftvergleichendes Gutachten. Sie reichte dabei nur Schriftproben ein von Personen, die sie als Täter vermutete. Der Sachverständige kam schließlich zum Schluss, dass die Trauerkarte "mit hoher Wahrscheinlichkeit" von einer Betriebsrätin stammte. Die Arbeitgeberin beabsichtigte aufgrund dessen den Ausspruch einer Verdachtskündigung und bat dem Betriebsrat um Zustimmung. Dieser verweigerte aber eine Zustimmung, so dass die Arbeitgeberin einen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht Bochum stellte.

Arbeitsgericht weist Antrag zurück Das Arbeitsgericht Bochum wies den Antrag zurück. Seiner Auffassung nach lasse sich der erforderliche Verdacht für die Begründung der Verdachtskündigung nicht feststellen. Gegen diese Entscheidung legte die Arbeitgeberin Beschwerde ein.

Landesarbeitsgericht verneint ebenfalls Anspruch auf Zustimmung zur Verdachtskündigung Das Landesarbeitsgericht Hamm bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies daher die Beschwerde der Arbeitgeberin zurück. Eine Verdachtskündigung könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf konkrete Tatsachen stütze und diese dringend seien. Es müsse eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Bloße Vermutungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. So lag der Fall hier aber.

"Hohe Wahrscheinlichkeit" der Urheberschaft begründet keinen dringenden Tatverdacht Allein aus einer "hohen Wahrscheinlichkeit" lasse sich kein dringender Tatverdacht ableiten, so das Landesarbeitsgericht. Denn insofern sei zu berücksichtigen, dass es bei schriftvergleichenden Gutachten oberhalb der Kategorie "hohe Wahrscheinlichkeit" noch die Kategorien "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" und "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gebe. Sei die Führung eines Beweises für eine Tatkündigung durch Beauftragung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens möglich, komme dieses Gutachten aber zum Ergebnis, dass keine eindeutige Urheberschaft bestehe, könne eine Verdachtskündigung nicht herhalten, um trotz des nicht eindeutigen Ergebnisses des Gutachtens eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen. Es sei zu beachten, dass die Verdachtskündigung subsidiär sei und der Beweisnot des Arbeitgebers Rechnung tragen solle. In einer solchen Beweisnot habe sich die Arbeitgeberin aber nicht befunden, da ihr das Mittel des schriftvergleichenden Gutachtens zur Verfügung gestanden habe.

Erforderliche Einholung von Schriftproben sämtlicher Beschäftigter Zudem wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die Arbeitgeberin nicht alles Zumutbare unternommen habe, um den Sachverhalt aufzuklären. So habe die Arbeitgeberin die vermeintliche Täterin anhören und Schriftproben sämtlicher Beschäftigter zur Begutachtung vorlegen müssen.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Landesarbeitsgericht Hamm
  • Entscheidungsart:Beschluss
  • Datum:30.08.2016
  • Aktenzeichen:7 TaBV 45/16

Landesarbeitsgericht Hamm, ra-online (vt/rb)