Die unzulässige Verlängerung einer bereits seit zehn Jahren bestehenden Sicherungsverwahrung aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und andere gefährlichen Straftaten vom Januar 1998 begründet ein Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Haftung trifft dabei nicht nur das Gesetz vollziehende Land, sondern auch den Bund als Gesetzgeber. Dies hat das Kammergericht Berlin entschieden.
In dem zugrunde liegenden Fall beabsichtigte der Betroffene einer aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und andere gefährlichen Straftaten vom Januar 1998 über zehn Jahre hinaus verlängerten Sicherungsverwahrung sowohl gegen das Land Berlin als auch gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Zahlung einer Entschädigung zu erheben. Er beantragte diesbezüglich die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Landgericht lehnte Gewährung von Prozesskostenhilfe ab
Das Landgericht Berlin lehnte den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Seiner Ansicht nach sei eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der unzulässigen Verlängerung der Sicherungsverwahrung unzulässig. Es sei lediglich das die Sicherungsverwahrung vollziehende Land Berlin haftbar zu machen. Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein.
Kammergericht hält Klage gegen Bund für zulässig
Das Kammergericht Berlin entschied zu Gunsten des Betroffenen und hob daher die Entscheidung des Landgerichts auf. Die Klage des Betroffenen habe hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ihm stehe aufgrund der unzulässigen Verlängerung der Sicherungsverwahrung gemäß Art. 5 Abs. 5 EMRK ein Anspruch auf Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.
Gemeinsame Haftung des Landes und des Bundes
Nach Auffassung des Kammergerichts hafte der Bund neben dem die Sicherungsverwahrung vollziehenden Land gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner. Denn mit ihrer Gesetzgebung zur möglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung habe die Bundesrepublik Deutschland durch ihre an der Gesetzgebung mitwirkenden Amtsträgern die rechtlichen Voraussetzungen für den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK geschaffen. Nicht nur die Anordnung der Sicherungsverwahrung durch die Gerichte der Länder und ihr Vollzug durch die Justizvollzugsanstalten habe die Verletzung des Betroffenen in seinen Menschenrechten bewirkt, sondern ebenso die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland.
Keine Beschränkung der Haftung auf vollziehendem Land
Die Haftung sei nach Ansicht des Kammergerichts nicht auf die das Recht vollziehenden Länder beschränkt. Eine solche Haftungsbeschränkung lasse sich aus Art. 5 Abs. 5 EMRK oder Art. 34 Satz 1 des Grundgesetzes nicht entnehmen.
- Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
- Nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die zulässige Höchstdauer hinaus nicht zulässig ( Europäischer Gerichtshof für MenschenrechteUrteil[Aktenzeichen: 19359/04] )
- BGH: Ex-Sicherungsverwahrte haben Anspruch auf Entschädigung ( BundesgerichtshofUrteil[Aktenzeichen: III ZR 405/12; III ZR 406/12; III ZR 407/12; III ZR 408/12;] )
- Vorinstanz:
- Landgericht BerlinBeschluss[Aktenzeichen: 28 O 184/13]
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Kammergericht Berlin
- Entscheidungsart:Beschluss
- Datum:30.06.2015
- Aktenzeichen:9 W 5/14