Hartz IV: Kein Anspruch auf Mietkostenzuschlag aus religiösen Gründen

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass das Jobcenter nicht verpflichtet ist, die volle Miete für eine Wohnung zu übernehmen, die von einer streng religiösen Familie in Kenntnis der unangemessen hohen Kosten bezogen wurde, um in der Nähe des von ihnen besuchten Gotteshauses wohnen zu können.

Die Antragsteller des zugrunde liegenden Verfahrens sind eine fünfköpfige Familie, die im Juli 2017 aus Israel nach Berlin-Charlottenburg in eine Fünfzimmerwohnung mit einer Monatsmiete von 2.200 Euro zog. Zugleich beantragten sie beim Antragsgegner, dem Jobcenter Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II - "Hartz IV").
Antragsteller benötigen nach eigenen Angaben Wohnung in der Nähe der Synagoge Bereits vor dem Umzug hatten die Antragsteller den Antragsgegner mit Unterstützung des Jüdischen Bildungszentrums Chabad Lubawitsch gebeten, in ihrem Falle auch Mietkosten oberhalb des normalerweise Üblichen zu übernehmen. Sie seien jüdisch religiös und würden täglich die Synagoge des Bildungszentrums besuchen. Nach dem jüdischen Gesetz sei es – so die Auffassung des Rabbiners von Chabad Lubawitsch – nicht gestattet, am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Aus diesem Grund würden die Antragsteller eine Wohnung in der Nähe der Synagoge suchen. In dieser Gegend lägen die monatlichen Mieten aber leider oberhalb 1.800 Euro.
Jobcenter gewährt anteiligen Mietzuschuss Der Antragsgegner gewährte daraufhin Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, übernahm allerdings nur die für angemessen erachteten Mietkosten in Höhe von rund 1.000 Euro.

Mit ihrem am 9. November 2017 bei Gericht gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrten die Antragsteller, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu übernehmen.
Keine staatliche Verpflichtung zur Finanzierung jedweder Unterkunft im Falle der Bedürftigkeit Das Sozialgericht Berlin wies den Antrag als unbegründet ab und führte zur Begründung aus, dass es offensichtlich sei und keiner näheren Begründung bedürfe, dass die Wohnung der Antragsteller unangemessen teuer sei. Eine Anerkennung der vollen Unterkunftskosten scheide deshalb aus. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 gerade erst klargestellt, dass es keine staatliche Verpflichtung gebe, jedwede Unterkunft im Falle der Bedürftigkeit zu finanzieren. Auch Art. 4 Grundgesetz (Glaubens- und Gewissensfreiheit) zwinge nicht zu einer anderen Betrachtung. Der Schutz der Verwirklichung und Betätigung der religiösen Überzeugung der Antragsteller werde durch das staatliche Handeln nicht tangiert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei es zulässig, Hilfebedürftige bei der Wohnungssuche auf das gesamte Berliner Stadtgebiet zu verweisen.
Erkennbar zur teure Unterkunft wurde "sehenden Auges" bezogen Eine übergangsweise Bewilligung der tatsächlichen Kosten für eine "Schonfrist" von sechs Monaten (im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, sogenanntes "Kostensenkungsverfahren") komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Den Antragstellern sei nämlich schon vor Abschluss des Mietvertrages bewusst gewesen, dass die Miete über den normalerweise anerkannten Höchstbeträgen liege. Dennoch hätten sie die Unterkunft "sehenden Auges" bezogen, ohne über die hierfür erforderlichen finanziellen Mittel zu verfügen.

Die Wohnung sei im übrigen auch nicht erhaltenswert, weil es nach dem Vortrag der Antragsteller und der Aktenlage unwahrscheinlich sei, dass sie in absehbarer Zeit kostendeckende Einkünfte erzielen werden.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Sozialgericht Berlin
  • Entscheidungsart:Beschluss
  • Datum:14.11.2017
  • Aktenzeichen:S 162 AS 14273/17 ER

Sozialgericht Berlin/ra-online