BVerfG: Fehlende tragfähige Beziehung zwischen Vater und Kind rechtfertigt allein keinen Entzug des Sorgerechts

Das Fehlen einer tragfähigen Beziehung zwischen dem Vater und dem minderjährigen Kind begründet für sich allein keine Kindeswohlgefährdung und somit einen Entzug des Sorgerechts. Zudem ist der Sorgerechtsentzug unverhältnismäßig, wenn der Vater die Notwendigkeit einer vorübergehenden Fremdunterbringung des Kindes akzeptiert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im März 2016 gebar eine gebürtige Ivorerin zwei Zwillingstöchter. Die Kinder gingen aus einer kurzen Beziehung mit einem Belgier im Sommer 2015 hervor. Der Belgier erfuhr zwar erst im August/September 2016 von seiner Vaterschaft, erkannte diese aber im Dezember 2016 mit Zustimmung der Mutter an. Noch im selben Monat wurde der Mutter durch das Amtsgericht Oldenburg das Sorgerecht größtenteils entzogen und die Kinder in eine Pflegefamilie verbracht. Zur Begründung wurde angeführt, dass aufgrund der psychischen Erkrankung der Mutter eine Kindeswohlgefährdung bestehe. Im Februar 2017 wurde zudem dem Belgier das Sorgerecht vom Amtsgericht entzogen, was durch das Oberlandesgericht Oldenburg bestätigt wurde. Das Gericht sah eine Kindeswohlgefährdung, da der Vater den Wunsch geäußert habe, dass die Kinder zurück zur Mutter sollten. Zudem habe er im Leben der Kinder bisher keine Rolle gespielt, so dass er keine tragfähige Beziehung zu ihnen habe aufbauen können. Der Vater hielt den Sorgerechtsentzug für unzulässig und legte Verfassungsbeschwerde ein. Er führte an, nie etwas gegen die vorübergehende Fremdunterbringung seiner Kinder gehabt zu haben. Einen unbeaufsichtigten Umgang der Mutter mit den Kindern habe er ebenfalls nie gewollt.

Verletzung des Elternrechts durch Sorgerechtsentzug Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten des Vaters und hob daher die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf. Der Entzug des Sorgerechts habe den Vater und seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes verletzt. Es sei zum einen keine Kindeswohlgefährdung durch das Sorgerecht des Vaters erkennbar und zum anderen sei der Sorgerechtsentzug unverhältnismäßig gewesen.

Kein Sorgerechtsentzug aufgrund fehlender tragfähiger Beziehung Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts begründe das Fehlen einer tragfähigen Beziehung des Vaters zu seinen Kindern allein keine Kindeswohlgefährdung, welche ein Sorgerechtsentzug rechtfertige. Soweit das Oberlandesgericht aufgrund der Äußerung des Vaters befürchtete, er könne die Kinder der Mutter überlassen, ließ es außer Acht, dass er nachfolgend mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, dass er einen unbeaufsichtigten Umgang der Mutter mit den Kindern nicht befürworte und nicht anstrebe, die Kinder abrupt aus der Pflegefamilie zu nehmen und der Mutter unbeaufsichtigt zu überlassen. Die Ernsthaftigkeit dieser Angaben hätte das Oberlandesgericht etwa durch Befragung des Jugendamtes oder der Verfahrensbeiständin sowie durch die persönliche Anhörung des Vaters überprüfen müssen.

Unverhältnismäßiger Sorgerechtsentzug Der Entzug der elterlichen Sorge sei ferner unverhältnismäßig gewesen, so das Bundesverfassungsgericht. Es sei zu beachten gewesen, dass der Vater die Notwendigkeit der vorübergehenden Fremdunterbringung akzeptiert hatte. Sind die Eltern willens, die Gefahr für ihr Kind im Wege der Fremdunterbringung abzuwenden, sei ein familiengerichtliches Einschreiten grundsätzlich nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesverfassungsgericht
  • Entscheidungsart:Beschluss
  • Datum:13.07.2017
  • Aktenzeichen:1 BvR 1202/17

Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/rb)