Kleinkind kann durch Vaterschaftsanfechtung deutsche Staatsangehörigkeit verlieren

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschied, dass ein Kleinkind eine kraft Abstammung durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wenn der deutsche "Scheinvater", der die Vaterschaft zunächst anerkannt hatte, diese erfolgreich anficht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. Die Regelungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Bürgerlichen Rechts, aus denen dieser Verlust nach allgemeiner Rechtsüberzeugung abgeleitet wird, stehen bei verfassungskonformer Auslegung im Einklang mit dem Grundgesetz.

Die 2004 in Deutschland geborene Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens begehrt die Feststellung, deutsche Staatsangehörige zu sein. Ihre Mutter ist serbische Staatsangehörige; sie besaß zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin keinen Aufenthaltstitel, sondern wurde seit 1994 fortlaufend geduldet. Vor der Geburt hatte ein deutscher Staatsangehöriger mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft der Klägerin anerkannt. Infolgedessen hatte die Klägerin mit der Geburt aufgrund der Abstammung von einem deutschen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erworben (§ 4 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG). Auf eine vom rechtlichen Vater kurz nach der Geburt erhobene Vaterschaftsanfechtungsklage entschied das Familiengericht im November 2005 auf Grund eines Abstammungsgutachtens, dass die Klägerin nicht dessen Tochter sei. Einen im Jahr 2014 gestellten Antrag der Klägerin, festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige ist, lehnte der beklagte Landkreis ab.

Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen.
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verstößt nicht gegen Grundgesetz Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidungen. Die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin ist infolge der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Geburt entfallen, weil damit feststeht, dass sie nicht von einem deutschen Staatsangehörigen abstammt (§ 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB). Der hierdurch herbeigeführte Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verstößt nicht gegen Art. 16 Abs. 1 GG. Er stellt keine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit dar, weil er auf diskriminierungsfreien Regelungen beruht und die Klägerin in einem Alter getroffen hat, in dem Kinder noch kein Bewusstsein über ihre Staatsangehörigkeit entwickelt haben. Der Verlust findet in § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1, § 1592 Nr. 2 BGB eine hinreichende gesetzliche Grundlage (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG), die dem Zitiergebot des Grundgesetzes nicht unterfällt. Die Verlustregelung lässt sich im Wege der verfassungskonformen Auslegung um eine verfassungsrechtlich erforderliche, seinerzeit aber noch nicht vorhandene Altersgrenze sowie um eine Ausnahme für den Fall der Staatenlosigkeit ergänzen. Die Klägerin war im maßgeblichen Zeitpunkt der Vaterschaftsanfechtung noch im (frühen) Kleinkindalter und ist auch nicht staatenlos geworden.
Gericht verneint unionsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Verlust der Unionsbürgerschaft aufgrund des Verlusts der Staatsangehörigkeit Auf die Vaterschaftsanfechtung des "Scheinvaters" ist nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 übertragbar, mit der das Gericht die eingriffsintensiveren Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft durch Behörden für nichtig erklärt hat. Gegen den mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit hier verbundenen Verlust der Unionsbürgerschaft bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesverwaltungsgericht
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:19.04.2018
  • Aktenzeichen:BVerwG 1 C 1.17

Bundesverwaltungsgericht/ra-online