BVerfG: Strafgefangener hat grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in seine Krankenakte

Ein Strafgefangener hat grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in seine Krankenakte. Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Informationsinteresse des Patienten wiegt im Strafvollzug besonders schwer. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem ein Strafgefangener im Juni 2013 erfahren hatte, dass eine von ihm abgegebene Blutprobe ohne seine Zustimmung und damit rechtswidrig auf HI-Viren untersucht wurde, verlangte er von der Justizvollzugsanstalt umfassende Einsicht in seine Krankenakte. Er wollte damit prüfen, ob seine Krankenakte seit dem Beginn seiner Inhaftierung in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde. Die Justizvollzugsanstalt hielt eine bloße Aktenauskunft für ausreichend und verweigerte daher eine Akteneinsicht. Daraufhin stellte der Strafgefangene beim Landgericht Regensburg einen Antrag gerichtet auf Gewährung der Einsicht in seine Krankenakte.

Landgericht und Oberlandesgericht wiesen Antrag zurück Das Landgericht Regensburg wies den Antrag zurück. Die Absicht die Krankenakte auf Rechtsverstöße zu überprüfen, sei nicht geeignet, den Anspruch auf Akteneinsicht zu begründen. Andernfalls könne jeder Gefangene regelmäßig Akteneinsicht verlangen, was der Regelung in Art. 203 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes zuwiderlaufen würde. Nachdem sein Begehren auch vor dem Oberlandesgericht Nürnberg erfolglos blieb, erhob der Strafgefangene Verfassungsbeschwerde.

Bundesverfassungsgericht bejaht Anspruch auf umfassende Akteneinsicht Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten des Strafgefangenen. Ihm stehe ein Anspruch auf umfassende Einsicht in seine Krankenakte zu. Das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Achtung der Privatsphäre nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention gebieten jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen. Dem Informationsinteresse des Patienten komme erhebliches Gewicht zu.

Grundrechtliches Informationsinteresse des Patienten wiegt im Strafvollzug besonders schwer Dem grundrechtlichen Informationsinteresse des Patienten komme im Strafvollzug besonderes Gewicht zu, so das Bundesverfassungsgericht. Denn das Selbstbestimmungsrecht des Strafgefangenen sei in stärkerem Maße gefährdet als bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen. Denn ein Strafgefangener könne seinen Arzt nicht frei wählen und sich nicht aus dem Behandlungsverhältnis zurückziehen. Zudem zeichne sich der Strafvollzug durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten aus.

Verweigerung der Akteneinsicht in gewichtigen Ausnahmefällen Der Anspruch auf Einsicht in die Krankenakte könne nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts für einen Strafgefangenen ausgeschlossen sein, wenn entsprechend gewichtige Gründe vorliegen. Solche seien hier aber nicht vorgetragen worden.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesverfassungsgericht
  • Entscheidungsart:Beschluss
  • Datum:20.12.2016
  • Aktenzeichen:2 BvR 1541/15

Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/rb)