Bewerber mit Schwerbehinderung muss zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein öffentlicher Arbeitgeber bei einem Bewerbungsverfahren dazu verpflichtet ist, einen Bewerber mit einer Schwerbehinderung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Arbeitgeber darf nicht allein aufgrund der Bewerbungsunterlagen davon ausgehen, dass dem Bewerber die erforderliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle fehlt.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die beklagte Stadt schrieb Mitte 2013 die Stelle eines "Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik" des von ihr unterhaltenen Komplexes "Palmengarten" aus. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.: "Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/ Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; [...]". Der mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger, der ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich "Alternative Energien" ist, bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Er fügte seinem Bewerbungsschreiben einen ausführlichen Lebenslauf bei. Die beklagte Stadt lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein und entschied sich für einen anderen Bewerber.
Kläger verlangt Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung Der Kläger verlangte von der beklagten Stadt die Zahlung einer Entschädigung. Zur Begründung führte er aus, dass ihn die beklagte Stadt wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert habe. Sie sei ihrer Verpflichtung nach § 82 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Bereits dieser Umstand begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Die beklagte Stadt berief sich darauf, dass sie den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch habe einladen müssen, da dieser für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei.
Vorinstanzen bejahen Entschädigungsanspruch Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und verurteilte die beklagte Stadt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht änderte das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der beklagten Stadt teilweise ab und reduzierte die Entschädigungssumme auf einen Bruttomonatsverdienst. Hiergegen wandte sich die beklagte Stadt mit ihrer Revision.
Ausbleibende Einladung zum Vorstellungsgespräch lässt Benachteiligung wegen Behinderung vermuten Die Revision hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Die beklagte Stadt hatte dadurch, dass sie den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden und dadurch benachteiligt wurde. Sie war von ihrer Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX befreit. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner Bewerbung durfte sie nicht davon ausgehen, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesarbeitsgericht
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:11.08.2016
  • Aktenzeichen:8 AZR 375/15

Bundesarbeitsgericht/ra-online