Sterbegeldversicherung muss nicht für Pflegekosten für stationäre Unterbringung im Pflegeheim gekündigt verwertet werden

Der Einsatz einer Sterbegeldversicherung kann im Einzelfall eine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darstellen, wenn deren Zweckbindung verbindlich festgelegt ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Gießen hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1939 geborene Ehemann der Klägerin war seit Oktober 2013 in einem Seniorenzentrum als Selbstzahler untergebracht. Im Juli 2015 beantragte die Klägerin bei dem beklagten Landkreis die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 3. März 2016 und 2. Mai 2016 lehnte der Beklagte die Zahlung von Leistungen nach den Bestimmungen des 7. Kapitels des SGB XII für die Zeit von Oktober 2015 bis Januar 2016 mit der Begründung ab, dass die Eheleute über ein Vermögen in Höhe von insgesamt 11.270,61 Euro verfügten. Bei der Ermittlung des Vermögensstandes berücksichtigte der Beklagte den Rückkaufswert der Sterbegeldversicherungen der Eheleute in Höhe von 5.398,43 Euro, weil die Versicherungen jederzeit gekündigt werden könnten und somit sofort verwertbar seien.
Begriff Alterssicherung nimmt spezifisch auf Belange alter Menschen Bezug Die Klage hiergegen hatte Erfolg. Das Sozialgericht Gießen vertrat die Auffassung, dass die Sterbegeldversicherung unter bestimmten Voraussetzungen als Mittel der Alterssicherung im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu qualifizieren und damit von der Verwertung ausgeschlossen sei. Im Gegensatz zu dem Tatbestand der angemessenen Lebensführung nehme der Begriff der Alterssicherung spezifisch auf die Belange alter Menschen Bezug. Der Tatbestand könne folglich auch die Vorsorge für den Fall des Todes einschließen, da diese typischerweise ein wichtiges Anliegen alter Menschen sei.
Vorsorge für eine den persönlichen Vorstellungen entsprechende angemessene Bestattung ist zu respektieren Das Gericht wies darauf hin, dass es sich bei § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII lediglich um ein Regelbeispiel handele, sodass die Härteklausel auch in anderen Fällen Anwendung finden könne. Grundsätzlich erfordere die Annahme eines Härtefalls eine angemessene an den Umständen des Einzelfalles atypische, besondere Belastung. Die Verwertung eines Bestattungsvorsorgevermögens erweise sich generell als Härtefall. Das Sozialhilferecht müsse dem Einzelnen ein menschenwürdiges Leben erfüllen, sodass besonderen Bedürfnissen jenseits von Luxus Rechnung zu tragen sei. Die Vorsorge für eine den persönlichen Vorstellungen entsprechende angemessene Bestattung sei daher zu respektieren, zumal die für die Bestattungsvorsorge verwendeten Mittel nicht für die Bedarfsdeckung zu Lebzeiten verwendet würden. Die finanzielle Vorsorge für den eigenen Todesfall und der Wille, Begräbnis und Grabstätte nach eigenen Vorstellungen auszugestalten, beträfen zwar nicht unmittelbar die Lebensführung.
Zweckbindung des Vermögens muss rechtssicher feststellbar sein Es handele sich jedoch um ein höchstpersönliches Anliegen, das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sei. Eine Härte stelle die Verwertung des für die Bestattung angesparten Vermögens aber nur dar, wenn diese strikt zweckgebunden sei. Die Zweckbindung müsse sich rechtssicher feststellen lassen. Das heißt, das Ansparen auf einem gewöhnlichen Konto reiche dafür nicht aus. Sterbegeldversicherungen und Bestattungsvorsorge- ebenso wie -treuhandverträge genügten aber dem Grundsatz der strikten Zweckbindung.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Sozialgericht Gießen
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:14.08.2018
  • Aktenzeichen:S 18 SO 65/16

Sozialgericht Gießen/ra-online