Pauschalreisende können bei Flugannullierung Erstattung nur vom Reiseveranstalter und nicht vom Luftfahrtunternehmen fordern

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass Fluggäste, die gegen ihren Reiseveranstalter Anspruch auf Erstattung ihrer Flugscheinkosten haben, nicht auch eine Erstattung beim Luftfahrtunternehmen beanspruchen können. Eine solche Kumulierung wäre dazu angetan, zu einem ungerechtfertigten Übermaß an Schutz der Fluggäste zu Lasten des Luftfahrtunternehmens zu führen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 19. März 2015 buchten drei Personen bei Hellas Travel, einem in den Niederlanden ansässigen Reiseveranstalter, Hin- und Rückflüge für die Strecke Eelde (Niederlande) - Korfu (Griechenland). Diese Flüge waren Teil einer "Pauschalreise", deren Preis an Hellas Travel gezahlt wurde.

Die Flüge sollten von Aegean Airlines, einer in Griechenland ansässigen Gesellschaft, ausgeführt werden, die hierzu mit G.S. Charter Aviation Services, einer in Zypern ansässigen Gesellschaft, eine Vereinbarung geschlossen hatte: Aegean Airlines stellte G.S. Aviation Services gegen Zahlung eines Charterbetrags ein bestimmtes Sitzplatzkontingent zur Verfügung. G.S. Charter verkaufte diese Sitzplätze sodann weiter an Dritte, u.a. an Hellas Travel.
Flugscheinkosten durch Hellas Travel nicht erstattet Einige Tage vor dem vereinbarten Abflugtag teilte Hellas Travel den drei Reisenden jedoch mit, dass ihre Reise annulliert werde. Aegean Airlines hatte nämlich beschlossen, keine Flüge mehr nach und von Korfu durchzuführen, da sie den zuvor mit Hellas Travel vereinbarten Preis nicht erlangen konnte. Über das Vermögen von Hellas Travel wurde am 3. August 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Flugscheinkosten erstattete Hellas Travel den drei Reisenden nicht.
Nationales Gericht verurteilt Fluggesellschaft zur Zahlung von Ausgleichsleistungen wegen Flugannullierung Die drei Reisenden erhoben Klage vor der Rechtbank Noord-Nederland (Bezirksgericht Nordniederlande, Niederlande), die Aegean Airlines verurteilte, ihnen nach der Verordnung Nr.261/2004 über die Fluggastrechte* eine Ausgleichsleistung wegen Annullierung ihres Fluges zu zahlen.
Nationales Gericht erbittet Vorabentscheidung des EuGH zur Geltendmachung von Flugscheinkosten gegen Luftfahrtunternehmen Das Gericht entschied dagegen nicht über ihren Antrag auf Erstattung der Flugscheinkosten. Hierzu befragte das Gericht den Gerichtshof der Europäischen Union. Das Gericht wollte wissen, ob ein Fluggast, der nach der Richtlinie über Pauschalreisen** gegen seinen Reiseveranstalter Anspruch auf Erstattung seines Flugscheins habe, die Erstattung dieses Flugscheins auf der Grundlage der Verordnung über die Fluggastrechte beim Luftfahrtunternehmen geltend machen könne.
Erstattungsanspruchs aus Richtlinie über Pauschalreisen schließt Erstattung von Flugscheinkosten aus Gerichtshof betonte in seiner Entscheidung, dass bereits das Bestehen eines Erstattungsanspruchs aus der Richtlinie über Pauschalreisen ausreiche, um auszuschließen, dass ein Fluggast, dessen Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist, beim ausführenden Luftfahrtunternehmen die Erstattung seiner Flugscheinkostennach der Verordnung über die Fluggastrechte verlangen könne.
Fluggäste durch Richtlinie über Pauschalreisen ausreichend geschützt Nach Auffassung des Gerichtshofs wollte der Unionsgesetzgeber nämlich zwar die Fluggäste, deren Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist, nicht vollständig vom Anwendungsbereich der Verordnung über die Fluggastrechte ausschließen, doch ihnen gegenüber die Wirkungen des zuvor nach der Richtlinie über Pauschalreisen errichteten Systems, das als ausreichend schützend angesehen wurde, beibehalten.
Kumulierung von Ansprüchen würde zu Übermaß an Schutz betroffener Fluggäste zu Lasten des Luftfahrtunternehmens führen Die Ansprüche auf Erstattung der Flugscheinkosten nach der Verordnung und nach der Richtlinie sind demnach nicht kumulierbar. Eine solche Kumulierung wäre dazu angetan, zu einem ungerechtfertigten Übermaß an Schutz der betroffenen Fluggäste zu Lasten des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu führen, da dieses nämlich Gefahr liefe, einen Teil der Verantwortung übernehmen zu müssen, die dem Reiseveranstalter obliegt.
Reiseveranstalter muss für Fall der Zahlungsunfähigkeit Erstattung aller gezahlten Beträge der Fluggäste sicherstellen Diese Schlussfolgerung gilt auch in dem Fall, dass der Reiseveranstalter finanziell nicht in der Lage sein sollte, die Flugscheinkosten zu erstatten, und keine Maßnahmen getroffen haben sollte, diese Erstattung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie u.a. vorsieht, dass der Reiseveranstalter nachweisen muss, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge sichergestellt ist. Der Gerichtshof verweist darüber hinaus auf seine Rechtsprechung, nach der eine nationale Regelung die Verpflichtungen aus der Richtlinie nur ordnungsgemäß umsetzt, wenn sie dazu führt, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters für die Fluggäste tatsächlich die Erstattung aller ihrer gezahlten Beträge sichergestellt ist. Andernfalls verfügt der betroffene Reisende jedenfalls über die Möglichkeit, eine Klage gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Ersatz des Schadens zu erheben, der ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden ist.


* Verordnung (EG) Nr.261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr.295/91 (ABl. 2004, L46, S. 1).

** Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S.59).

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Gerichtshof der Europäischen Union
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:10.07.2019
  • Aktenzeichen:C-163/18

Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)