Altersversorgung für Vertragsärzte: Bei Beitragsbemessung müssen hohe Sachkosten berücksichtigt werden

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen verfügt als einzige Kassenärztliche Vereinigung in Deutschland mit der sogenannten Erweiterten Honorarverteilung über eine eigene Altersversorgung für niedergelassene Vertragsärzte. Zum Juli 2012 wurden die Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung dahingehend geändert, dass die Beiträge nach der Honorarhöhe ohne Abzug von Kostenerstattungen festgesetzt werden. Das Hessische Landessozialgericht entschied, dass diese Regelung verfassungswidrig ist, soweit Sachkosten, die bei bestimmten Arztgruppen einen maßgeblichen Anteil des Honorars ausmachten, nicht beitragsmindernd berücksichtig werden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie erbringt im Rahmen ihre vertragsärztliche Tätigkeit insbesondere ambulante Dialysebehandlungen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen stufte sie für den Zeitraum ab 1. Juli 2013 in die höchste Beitragsklasse ein und setzte den Beitrag je Quartal auf rund 5.800 Euro fest. Dabei ging Kassenärztliche Vereinigung Hessen von einem jährlichen Gesamthonorar in Höhe von rund 900.000 Euro aus.
Ärztin wendet sich gegen Beitragsfestsetzung Die Ärztin aus dem Landkreis Kassel brachte hiergegen vor, dass etwa 90 % ihres Honorars aus nichtärztlichen Dialyseleistungen stammten. Um diese Sachkosten müsste ihr Honorar im Rahmen der Beitragsbemessung bereinigt werden. Ihr Quartalsbeitrag läge dann bei lediglich 1.254 Euro.
Gerichte erklären Beitragsbemessung für rechtwidrig Genau wie das Sozialgericht beurteilte auch das Hessische Landessozialgericht die Beitragsbemessung für rechtswidrig. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen müsse über die Eingruppierung der Ärztin und die Beitragsfestsetzung unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung neu entscheiden. Bei der Erweiterten Honorarverteilung handele es sich um eine solidarische Pflichtversicherung. Der Satzungsgeber habe daher das beitragsrechtliche Äquivalenzprinzip und den solidarischen Charakter der Alterssicherung gegeneinander abzuwägen und in Ausgleich zu bringen.
Beitragsbemessung nur nach Umsatz ist verfassungswidrig Die ab Juli 2012 geltende Erweiterten Honorarverteilung sei laut Landessozialgericht verfassungswidrig, da hiernach in erheblichem Ausmaße Sachkosten nicht mehr abgezogen würden und damit in unangemessener Weise das weitgehend ungekürzte Honorar der Beitragsbemessung zu Grunde lege.
LSG verweist auf rechtswidrige Ungleichbehandlung Der Beitrag müsse zwar nicht an den Gewinn, sondern könne durchaus an die Höhe des Honorars - und damit an den Umsatz - angeknüpft werden. Wenn allerdings vertragsärztliche Umsätze verschiedener Arztgruppen nicht mehr tendenziell Überschüsse in ähnlicher Größenordnung erwarten lassen, müsse dies bei Beitragsbelastungen, die allein an Umsätzen ausgerichtet seien, berücksichtigt werden. Eine rechtswidrige Ungleichbehandlung liege deshalb vor, wenn Arztgruppen mit überdurchschnittlich hohen Sachkostenanteilen in der Vergütung im Verhältnis zum Gewinnanteil höhere Beiträge zahlen bzw. denselben Beitrag aus einem niedrigeren Gewinn erwirtschaften müssten. Dies sei der Fall, wenn hohe Sachkosten - wie für nichtärztliche Dialyseleistungen - bei der Beitragsbemessung nicht entsprechend berücksichtigt würden.

Die Grundsätze der EHV sind mit Wirkung zum 1. Januar 2017 geändert worden.

Hinweise zur RechtslageArt. 3 Grundgesetz (GG) (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Art. 12 GG (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
§ 1 Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (GEHV) in der Fassung vom 1. Juli 2012 (1) Jeder niedergelassene Vertragsarzt nimmt [...] an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der Erweiterten Honorarverteilung teil. [...]
§ 3 GEHV (1) Die Erweiterte Honorarverteilung wird finanziert durch Beiträge der aktiven Vertragsärzte, die vom Honorar einbehalten werden. Die Höhe des zu leistenden Beitrags ist abhängig von dem erzielten Honorar aus ärztlicher Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im Vorvorjahr des Beitragsjahres, das heißt aller für das herangezogene Kalenderjahr durch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen vergüteten ärztlichen Honorare sowie der Honorare aus Selektivverträgen, die in dem entsprechenden Jahr zugeflossen sind. [...]

(2) Es werden insgesamt neun Beitragsklassen festgelegt. Anhand des Durchschnittshonorars aller aktiven Vertragsärzte (Beitragszahler) bestimmt sich die Beitragsklasse 4, die den Regelbeitrag festlegt. Beitragszahler, die ein unterdurchschnittliches Honorar erzielen, zahlen einen ermäßigten Beitrag der Beitragsklassen 1 bis 3; Beitragszahler mit überdurchschnittlichem Honorar werden den Beitragsklassen 5 bis 9 zugeordnet. Die konkrete Zuordnung des Beitragszahlers zur Beitragsklasse erfolgt über das prozentuale Verhältnis des Arzthonorars zum Durchschnittshonorar. [...]
§ 3 GEHV in der Fassung vom 1. Januar 2017 (1) Die Erweiterten Honorarverteilung wird finanziert durch Umlagen der aktiven Vertragsärzte. Die Umlage wird in Form eines prozentualen Abzugs von dem über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen abgerechneten Honorar des jeweiligen Vertragsarztes im aktuellen Abrechnungsquartal zuzüglich der auf vier Quartale aufgeteilten Summe der für das Vor-Vorjahr gemeldeten bzw. geschätzten Honorare aus Selektivverträgen einbehalten. [...]

  • Vorinstanz:
    • Sozialgericht MarburgUrteil[Aktenzeichen: S 12 KA 23/14]

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:11.04.2018
  • Aktenzeichen:L 4 KA 2/15

Hessisches Landessozialgericht/ra-online