Klimaschutz ist Menschenrecht: Schweizer Klimapolitik verletzt Verpflichtungen zum Klimaschutz

Klimaschutz ist ein Menschenrecht und kann vor Gericht eingeklagt werden. Das geht aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hervor. Das Gericht verurteilte die Schweiz wegen Verletzung der Menschenrechte im Umweltbereich.

Bei den Antragstellern handelt es sich den Verein KlimaSeniorinnen Schweiz sowie vier ältere Frauen. Der Verein umfasst mehr als 2.000 ältere Frauen (von denen ein Drittel über 75 Jahre alt ist), darunter auch die vier Frauen, die alle Vereinsmitglieder und über 80 Jahre alt sind. Sie klagen über gesundheitliche Probleme. Hitzewellen verschlimmerten sich und beeinträchtigten ihr Leben, ihre Lebensbedingungen und ihr Wohlbefinden erheblich. Die älteste der vier Frauen, Jahrgang 1931, verstarb während des gerichtlichen Verfahrens. Am 25. November 2016 reichte die Gruppe einen Antrag beim Bundesrat und anderen Schweizer Umwelt- und Energiebehörden ein. Sie wiesen die Behörden auf diverse Versäumnisse im Bereich Klimaschutz hin und forderten eine Entscheidung über zu ergreifende Maßnahmen (Realakte). Sie forderten die Behörden außerdem auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgelegte Ziel für 2030 zu erreichen. Dieses Vorhaben verfolgten der Verein und die vier Frauen vor den Schweizer Gerichten weiter. Das Bundesverwaltungsgericht und später das Bundesgericht, die höchste juristische Instanz in der Schweiz, lehnten die Forderung nach ehrgeizigeren Emissionsreduktionszielen ab. Im Jahr 2020 beschloss der Verein mit Unterstützung von Greenpeace Schweiz, sich an den EGMR zu wenden. Dieser beschloss, den Fall anzunehmen. Um ihr Anliegen zu unterstützen, prangerten die älteren Frauen an, dass die Schweiz mehrere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Rechte verletze, darunter das Recht auf Leben (Artikel 2) und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8).
Entscheidung des EGMR
Der Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 8 der Konvention ein Recht auf wirksamen Schutz durch staatliche Behörden vor den schwerwiegenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität umfasst.
Die vier Seniorinnen hatten vor dem EGMR keinen Erfolg
Der EGMR kam jedoch zu dem Schluss, dass die vier einzelnen Beschwerdeführer die Voraussetzungen von Art. 34 der Konvention (Individualbeschwerden) nicht erfüllten und erklärte ihre Beschwerden für unzulässig. Für die Zulässigkeit einer Individualbeschwerde müsse gemäß Art. 34 EMRK geltend machen, durch eine Maßnahme direkt oder indirekt in eigenen Rechten betroffen zu sein. Für die Einzelklägerinnen konnte der Gerichtshof diese Opfereigenschaft nicht bejahen.
Nur Verein KlimaSeniorinnen hatte Erfolg
Im Gegensatz dazu habe der antragstellende Verein das Recht (Verbandsklage), eine Beschwerde über die vom Klima ausgehenden Bedrohungen stellvertretend für diejenigen Personen einzureichen, die von den negativen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden betroffen sind. Der Verein Klimaseniorinnen klage somit im Namen der unmittelbaren Opfer des Klimawandels (locus standi).
Schweiz hat Verpflichtungen zum Klimaschutz verletzt
Das Gericht befand, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft ihren Pflichten nach dem Klimaabkommen nicht nachgekommen sei. Die Schweiz habe es unterlassen, hinreichende rechtliche Vorkehrungen gegen die fortschreitende Erderwärmung zu ergreifen. Damit habe die Schweiz das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird, verletzt. Die Schweiz habe auch ihre bisherigen Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht erreicht. Unter Anerkennung des weiten Ermessensspielraums der nationalen Behörden bei der Umsetzung von Rechtsvorschriften und Maßnahmen entschied der Gerichtshof auf der Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen, dass die Schweizer Behörden nicht rechtzeitig und angemessen gehandelt haben, um relevante Gesetze und Maßnahmen auszuarbeiten und umzusetzen.
Recht auf ein faires Verfahren verletzt
Darüber hinaus stellte der Gerichtshof fest, dass Artikel 6 Abs. 1 der Konvention (Recht auf ein faires Verfahren) auf den Beschwerdeführer anwendbar sei. Der EGMR führte aus, dass die Schweizer Gerichte keine überzeugenden Gründe dafür vorgelegt hätten, warum sie es für unnötig gehalten hätten, Beschwerden der Vereinigung zu prüfen. Die Gerichte hätten es versäumt, die zwingenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel zu berücksichtigen und die Beschwerden nicht ernst genommen.

    Angaben zum Gericht:

    • Gericht:Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
    • Entscheidungsart:Urteil
    • Datum:09.04.2024
    • Aktenzeichen:53600/20

    Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, ra-online (pt)