Anspruch auf Kostenerstattung für kieferorthopädischen Behandlung besteht nur in medizinisch begründeten Fällen

Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung haben Anspruch auf kieferorthopädische Behandlung nur in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart hervor.

Der 1993 geborene Kläger des zugrunde liegenden Falls lies in der Zeit von März 2004 bis März 2013 eine kieferorthopädische Behandlung in Höhe von insgesamt 7.523,62 Euro durchführen. Nachdem er bzw. seine gesetzlichen Vertreter die Rechnungen zunächst immer selbst beglichen hatten, beantragte der Kläger bei der beklagten Krankenversicherung am 20. März 2014 erstmals die Erstattung dieser Kosten. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 2. April 2014 eine Kostenübernahme abgelehnt hatte, beantragte der Kläger am 24. März 2015 erneut die Kostenübernahme bzw. eine Überprüfung des Bescheides vom 2. April 2014 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Anspruch auf Kostenerstattung besteht nur bei medizinisch begründeten Kiefer- oder Zahnfehlstellungen Die gegen die Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 2. April 2014 erhobene Klage wies das Sozialgericht Stuttgart nach Vernehmung des behandelnden Kieferorthopäden als sachverständigen Zeugen ab. Unabhängig davon, dass der Kläger schon den auf dem Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung beruhenden Beschaffungsweg (wonach Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung grundsätzlich nur dann übernommen werden könnten, wenn diese Leistung vor der Behandlung bei der zuständigen Krankenkasse beantragt worden seien) nicht eingehalten habe, bestehe auch ansonsten kein Anspruch auf die durchgeführte kieferorthopädische Behandlung. Versicherte hätten Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliege, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtige oder zu beeinträchtigen drohe (§ 29 Abs. 1 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bestimme in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen (§°29 Abs. 4 SGB V). Zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehöre nach den "Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung" (KFO-Richtlinie) die gesamte kieferorthopädische Behandlung, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) - Anlage 1 zu den Richtlinien - festgestellt werde. Eine Einstufung mindestens in den Behandlungsbedarfsgrad 3 der Indikationsgruppen sei dafür erforderlich. Nachdem bei dem Kläger zu Beginn der Behandlung lediglich eine Zahnstellungsanomalie der KIG 2 bestanden habe, seien die Anspruchsvoraussetzungen i.S.d. § 29 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB V nicht erfüllt. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass nicht alles, was medizinisch notwendig sei, der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfalle. Die Aufzählung in § 29°Abs. 4 SGB V i.V.m. der KFO-Richtlinien sei abschließend. Eine erweiternde Auslegung entspreche nicht der Zielsetzung des Gesetzgebers (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 RK 11/97).

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Sozialgericht Stuttgart
  • Entscheidungsart:Gerichtsbescheid
  • Datum:06.06.2019
  • Aktenzeichen:S 23 KR 6776/18

Sozialgericht Stuttgart/ra-online (pm/kg)