Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Gewährung von Mutterschutz nach Fehlgeburt erfolglos

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Frauen, die eine Fehlgeburt nach der 12., aber vor der 24. Schwangerschaftswoche erlitten haben, nicht zur Entscheidung angenommen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde verfolgen sie das Ziel, wie Entbindende behandelt zu werden, die unter die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) fallen.

Die vier Beschwerdeführerinnen sind angestellte beziehungsweise verbeamtete Frauen, deren Schwangerschaften jeweils nach der 12., aber vor der 24. Schwangerschaftswoche durch eine Fehlgeburt endete. Sie ließen sich daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen und arbeiteten nicht. Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass die mutterschutzrechtlichen Schutzfristenregelungen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien, weil Frauen, die zwischen der 12. und der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt mit einem weniger als 500 Gramm schweren Kind erlitten haben, von den angegriffenen Schutzfristenregelungen ausgenommen seien.
Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtschutz zumutbar
Eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Norm richtet, kann nur binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Diese Frist war bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde abgelaufen. Die Verfassungsbeschwerde genügt auch dem Grundsatz der Subsidiarität nicht. Vor Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Die Beschwerdeführerinnen hätten, jedenfalls soweit sie Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse sind, gegen die Krankenkassen einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld beziehungsweise gegen ihre Arbeitgeber einen Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld geltend machen können. Beide Ansprüche hätten sie vor den Fachgerichten verfolgen können. Des Weiteren hätten sie eine Klage auf Feststellung eines Beschäftigungsverbots erheben können.

Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes war den Beschwerdeführerinnen nicht unzumutbar. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld knüpft bei den Anspruchsvoraussetzungen an die gesetzlichen Schutzfristen des § 3 MuSchG und damit an die „Entbindung“ an. Der Begriff der „Entbindung“ wurde durch den Gesetzgeber weder im Mutterschutzrecht noch in den zugehörigen sozialrechtlichen Bestimmungen konkretisiert. In der Rechtsprechung wurde bisher zur Auslegung des Begriffs der „Entbindung“ in einem anderen Kontext auf die Regelungen der Personenstandsverordnung zurückgegriffen. Diese Auslegung erachtete der Gesetzgeber bei Einführung des gesetzlichen Kündigungsverbots für Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, im Zuge der Reform des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2017 aus medizinischer Sicht und nach der Intention des Mutterschutzgesetzes für nicht sachgerecht. Dass die Gerichte gleichwohl an der bisherigen Auslegung des Begriffs „Entbindung“ in Bezug auf die beanstandeten Regelungen festhalten würden, ist nicht offensichtlich. Dies ist mit Blick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Personenstandsverordnung und der mutterschutzrechtlichen Fristenbestimmungen auch unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 4 GG im Falle einer Fehlgeburt nicht zwingend. Bei der Auslegung sind zudem medizinische Wertungen zu beachten, die vorrangig im fachgerichtlichen Verfahren zu gewinnen sind.

    Angaben zum Gericht:

    • Gericht:Bundesverfassungsgericht
    • Entscheidungsart:Beschluss
    • Datum:21.08.2024
    • Aktenzeichen:1 BvR 2106/22

    Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)