Gesetzliche Grundlage für derzeitige Regelung und Praxis über die Zugangsvoraussetzungen zum Gymnasium in Baden-Württemberg rechtlich fragwürdig

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Beschwerde zweier Antragsteller aus dem Rems-Murr-Kreis zurückgewiesen, mit denen sie sich gegen die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung wenden. Der Senat äußert zwar wesentliche Bedenken in Bezug auf einige Teile der Neuregelungen, lehnt den Antrag auf vorläufige Aufnahme in ein Gymnasium im Ergebnis aber ab.

Nach der am 4. Februar 2025 in Kraft getretenen Neuregelung des § 88 Abs. 3 Satz 2 Schulgesetz setzt die Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers in das allgemeinbildende Gymnasium neben einem entsprechenden Elternwillen entweder eine Empfehlung der Grundschule oder die erfolgreiche Teilnahme an einer Kompetenzmessung (sog. „Kompass 4“-Test) voraus. Kann ein Schüler oder eine Schülerin weder erfolgreiche Kompetenzmessung noch Empfehlung der Grundschule vorweisen, ermöglicht die erfolgreiche (freiwillige) Teilnahme am Potenzialtest die Aufnahme ins Gymnasium. Einzelheiten des Aufnahmeverfahrens sind in der am 5. Februar 2025 in Kraft getretenen Aufnahmeverordnung enthalten.

Die Antragsteller haben als Schüler der 4. Grundschulklasse an der Kompetenzmessung teilgenommen, ohne das für den Besuch eines Gymnasiums erforderliche Niveau zu erreichen. Auch die Grundschule stellte ihnen nicht die erforderliche Empfehlung aus. Nachdem auch der Potenzialtest erfolglos blieb, verweigerte ihnen das Gymnasium die Aufnahme. Einen Eilantrag, mit dem sie die vorläufige Teilnahme am Unterricht der Klassenstufe 5 eines Gymnasiums erreichen wollten, lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 10. Juni 2025 - 12 K 3938/25 - ab.
Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs In seinem Beschluss vom 15. September 2025, mit dem er die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen hat, äußert der Senat Bedenken, ob es für die derzeitige Regelung und Praxis über die Zugangsvoraussetzungen zum Gymnasium eine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt.

Da die aufgeworfenen Rechtsfragen schwierig und
infolgedessen einer abschließenden Klärung im Eilverfahren nicht zugänglich sind, hat der Senat die Folgen abgewogen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für die Antragsteller verbunden sind. Unter Berücksichtigung der bisherigen Leistungen der Antragsteller in der Grundschule und mit Blick auf eine drohende Überforderung im Gymnasium hat er deren Antrag abgelehnt.

Die rechtlichen Bedenken des Senats bestehen dahingehend, ob es für den Potenzialtest eine hinreichende gesetzliche Grundlage gibt. Denn die Aufnahmeverordnung, die - im Grundsatz zulässigerweise - die Einzelheiten des Potenzialtests regelt, lege nicht konkret fest, wann der Test als bestanden gelte und den Besuch eines Gymnasiums ermögliche. Dass eine Festlegung der Bestehensgrenze in einer Handreichung des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) genügen könnte, hält der Senat für zweifelhaft, lässt diese Frage im Eilverfahren aber offen.

Ebenso offen lässt der Senat die Frage, ob es rechtmäßig war, die bereits im November 2024 durchgeführte Kompetenzmessung im Rahmen des Eignungsfeststellungsverfahrens für das kommende Schuljahr 2025/2026 heranzuziehen. Im Zeitpunkt der Durchführung des Tests seien die Neuregelung im Schulgesetz und die neue Aufnahmeverordnung noch nicht in Kraft gewesen. Einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sieht der Senat nicht, hat aber auch hier Zweifel, ob es eine hinreichende gesetzliche Grundlage gegeben hat.

Die Einwände der Antragsteller gegen die Grundschulempfehlung weist der Senat zurück, hat aber verfassungsrechtliche Bedenken, ob im Falle eines Wegfalls des Potenzialtests und der Kompetenzmessung die allein verbleibende Empfehlung der Grundschule, der seit der Neuregelung (wieder) Verbindlichkeit zukommt, den grundrechtlich geschützten Vorstellungen der Eltern über den weiteren Bildungsweg ihrer Kinder entgegengehalten werden kann.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

    Angaben zum Gericht:

    • Gericht:Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
    • Entscheidungsart:Beschluss
    • Datum:15.09.2025
    • Aktenzeichen:9 S 1124/25

    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, ra-online (pm/pt)