Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung in einer Gemeinschaftsunterkunft zum Zwecke der Abschiebung stattgegeben. Auf der Suche nach einem abgelehnten Asylbewerber hatte die Berliner Polizei ein Zimmer aufgebrochen. Laut Bundesverfassungsgericht hätte es dafür einer richterlichen Durchsuchungsanordnung bedurft.
Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, mit der sich der Beschwerdeführer gegen seine Ergreifung zum Zwecke der Abschiebung in dem von ihm bewohnten Raum einer Gemeinschaftsunterkunft ohne vorherige richterliche Durchsuchungsanordnung wendet.
Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur Entscheidung angenommen wurde, begründet. Die Ergreifung des Beschwerdeführers war vorliegend als Durchsuchung einzustufen und erforderte daher eine richterliche Durchsuchungsanordnung. An einer solchen fehlte es, sodass der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Grundgesetz (GG) verletzt ist.
Die Kammer hat die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer, dessen Abschiebung angeordnet worden war, bewohnte zusammen mit einer weiteren Person einen Raum in einer Gemeinschaftsunterkunft. Nachdem trotz mehrfachen Klopfens die verschlossene Tür des Zimmers des Beschwerdeführers im Übergangswohnheim nicht geöffnet wurde, wurde sie ohne richterliche Durchsuchungsanordnung mit einer Ramme aufgebrochen und das Zimmer von den Polizeibeamten aufgesucht, um den Beschwerdeführer zu ergreifen. Nach den tatsächlichen Feststellungen blieb offen, ob sich der Beschwerdeführer verborgen hielt oder ob er unmittelbar identifiziert werden konnte.
Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage des Beschwerdeführers, mit der er begehrte festzustellen, dass sein Zimmer unter anderem nicht hätte betreten und durchsucht werden dürfen, im Berufungsverfahren in vollem Umfang ab. Die polizeiliche Maßnahme im Zimmer des Beschwerdeführers sei keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG gewesen. Solange keine Suchhandlung stattfinde, sei unerheblich, ob von einem ex-ante-Standpunkt davon auszugehen war, dass derartige Handlungen zum Auffinden der Person erforderlich sein könnten.
Das Bundesverwaltungsgericht wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Revision zurück. Für eine Durchsuchung sei begriffsprägend die Suche nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines Sachverhalts in einer Wohnung. Kennzeichnend sei die Absicht, etwas nicht klar zutage Liegendes aufzudecken und mithin die Wohnung als einen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereich auszuforschen. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auslegung des Durchsuchungsbegriffs, wonach es aus einer ex-ante-Perspektive auf den Zweck des Auffindens – unabhängig von durchgeführten Suchhandlungen – ankomme, unterlaufe die Unterscheidung zwischen Betreten und Durchsuchen.
Wesentliche Erwägungen der Kammer
A. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die polizeiliche Durchsuchungsmaßnahme und gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts richtet; diese verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG.
1. Für die vorliegend als Durchsuchung einzustufende Ergreifung des Beschwerdeführers in seinem Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft fehlte es an der erforderlichen richterlichen Durchsuchungsanordnung.
a) Nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben liegt grundsätzlich eine Durchsuchung vor, wenn der Betroffene zum Zwecke der Abschiebung in seinem Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft aufgesucht wird, solange vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis über den konkreten Aufenthaltsort der zu ergreifenden Person besteht. Die Ausländerbehörde und ebenso die (Polizei-)Beamten vor Ort befinden sich im Stadium der Planung einer Abschiebung regelmäßig im Unklaren darüber, ob eine Suchhandlung nötig sein wird; zumindest kann dies zumeist nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden.
Der Schutzzweck der in Art. 13 Abs. 2 GG garantierten Pflicht, vorab eine richterliche Anordnung einzuholen, ist bei einer Ergreifung im Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft zum Zwecke der Abschiebung einschlägig. Der Richtervorbehalt dient nicht der Reaktion auf eine bereits eingetretene Grundrechtsbeeinträchtigung, sondern begegnet präventiv einem Gefährdungspotenzial. Der Richtervorbehalt kann seine verfassungsrechtlich verbürgte kompensatorische Rechtsschutzfunktion nur erfüllen, wenn die Behörden bereits vor Beginn der Maßnahme und nicht erst während deren Durchführung prüfen müssen, ob mit einer Durchsuchung zu rechnen ist. Der präventive Grundrechtsschutz, welchen Art. 13 Abs. 2 GG gewährleistet, würde andernfalls bei Abschiebungen nahezu leerlaufen.
Demgegenüber bildet die Auslegung des Durchsuchungsbegriffs durch das Bundesverwaltungsgericht, die nach dem jeweiligen Verlauf – zudem in einer Rückschau – auf das äußere Erscheinungsbild der Maßnahme abstellt, kein tragfähiges, zuverlässiges Kriterium für die Abgrenzung einer Durchsuchung von einem Betreten. Eine tatsächlich vorgenommene und nach außen als solche erkennbare physische, also qualifizierte Suchhandlung zu fordern, führt zu zufälligen Ergebnissen, was mit dem Schutzzweck des Richtervorbehalts unvereinbar ist.
Darauf abzustellen, welche privaten Umstände staatliche Stellen in einer Wohnung in welchem Maße zur Kenntnis nehmen, ist ebenfalls kein taugliches Abgrenzungskriterium. Ein solches Verständnis führt zu einer Abgrenzung des Betretens und der Durchsuchung anhand des Grades der Kenntnisnahme im Laufe der Maßnahme und nicht – wie geboten – vor deren Beginn. Dies widerspricht dem stufenlosen Schutz der räumlichen Sphäre aus Art. 13 Abs. 1 GG, der nicht erst greift, wenn die Kenntnisnahme ein bestimmtes Niveau erreicht oder besonders persönlichkeitsrelevante Sachverhalte betrifft.
b) Von diesen verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäben ausgehend handelt es sich vorliegend um eine Durchsuchung. Insbesondere fehlt es nicht am Element des Suchens nach etwas Verborgenem. Den hier eingesetzten Polizeibeamten war bis zum Aufbrechen der Zimmertür nicht bekannt, ob sich der Beschwerdeführer überhaupt im Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft aufhielt, und schon gar nicht, wo genau in diesem Zimmer. Da der konkrete Aufenthaltsort nicht vorab bekannt war, kommt es von Verfassungs wegen auch nicht darauf an, dass nach den tatsächlichen Feststellungen unklar bleibt, ob sich der Beschwerdeführer verborgen hielt oder ob er unmittelbar identifiziert werden konnte.
Zu erkunden, ob und gegebenenfalls wo konkret sich der Beschwerdeführer befindet, ist nicht nur eine bei Gelegenheit wahrgenommene Information. Es wird vielmehr auf einen zur Wohnung gehörenden Umstand in einer Weise – unangekündigt – zugegriffen, welche die der freien Persönlichkeitsentfaltung dienende Sphäre erheblich zu beeinträchtigen vermag.
2. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verfehlt die Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 GG, indem es das Verhalten der Polizeibeamten nicht als Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG einstuft. Damit verkennt es, dass hierfür eine richterliche Anordnung erforderlich gewesen wäre.
II. Die Kammer hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.
B. Im Übrigen hat die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit der Beschwerdeführer insbesondere die Nichtzulassung der Revision durch das Bundesverwaltungsgericht angegriffen hat, ist dieser Beschluss als Folge der Aufhebung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos.
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Bundesverfassungsgericht
- Entscheidungsart:Beschluss
- Datum:19.09.2025
- Aktenzeichen:2 BvR 460/25