Versicherungspflicht von Beschäftigten in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung setzt Erzielung von Arbeitsentgelt voraus

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass aufgrund der Regelung des § 3 Nr. 26 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die unwiderlegbare Vermutung besteht, dass Einnahmen von Übungsleiterinnen und -leitern bis zur Höhe von 2.400 Euro im Jahr als steuerfreie Aufwandsentschädigung und nicht als Arbeitsentgelt anzusehen sind.

Die 1970 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Falls ist staatlich anerkannte Sport- und Gymnastiklehrerin. Von Oktober 2008 bis in das Jahr 2014 war sie als freie Mitarbeiterin für den zum Verfahren beigeladenen Turnverein tätig. Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 20. Juni 2012 stellte die beklagte Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung antragsgemäß gegenüber ihr und dem Verein fest, dass diese Tätigkeit nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und daher insoweit keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht. In der Folge machte die Beklagte gegenüber der Klägerin Beiträge aufgrund einer Versicherungspflicht als selbstständig tätige Lehrerin geltend. Daraufhin beantragte diese erneut, den sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer Tätigkeit beim Turnverein festzustellen, nun mit dem Ziel einer abhängigen Beschäftigung. Die Beklagte lehnte eine Rücknahme der Verwaltungsentscheidungen vom 20. Juni 2012 ab.
Beklagte verneint Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses Von Juni 2013 bis November 2014 war die Klägerin zudem ohne schriftliche Vereinbarung als Übungsleiterin bei der ebenfalls beigeladenen Turnvereinigung tätig. Anfangs wurde sie für je eine Stunde zu nach Beginn, Ende und Ort festgelegten Kursen der Rückengymnastik und des Nordic Walking verpflichtet, welche im Vereinsgebäude oder von dort aus in einem in der Nähe gelegenen Waldstück stattfanden. Gegen Ende übernahm sie vertretungsweise weitere Kurse. Die Teilnehmenden meldeten sich bei der Turnvereinigung an. Die Klägerin bestätigte gegebenenfalls die Teilnahme gegenüber den Trägerinnen der gesetzlichen Krankenversicherung. Kleingeräte für die Kurse waren in den Übungsräumen vorhanden. Im Verhinderungsfall organisierte sie selbst eine Vertretung. Anders als die festangestellten Mitarbeitenden musste die Klägerin keine Dienstkleidung tragen und nicht an Besprechungen teilnehmen. Sofern sie dies tat, erhielt sie eine gesonderte Vergütung von pauschal 7,50 Euro. Für die Leitung der Kurse war ein Stundensatz von 22 Euro vereinbart, wobei beide davon ausgingen, dass die Vergütung solange als möglich als steuerfreie "Übungsleiterpauschale" gewährt wird. Im Jahr 2013 erhielt die Klägerin 1.723,50 Euro und 2.394 Euro von Januar bis Juli 2014. Da damit der steuerfreie Betrag erschöpft war, stellte sie die ab Juli 2014 geleisteten Stunden in Rechnung, weiterhin mit der Begründung ohne Steuerabzug, dass sie die Regelung für Kleinunternehmerinnen in Anspruch nimmt. Die Beklagte stellte mit Bescheiden vom 20. November 2014 gegenüber der Klägerin und der Turnvereinigung fest, dass die Tätigkeit als Kursleiterin nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und insoweit keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
Versicherungspflicht setzt Erzielung von Arbeitsentgelt voraus Im erstinstanzlichen Verfahren wurden die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin ihre Tätigkeiten für den Turnverein und die Turnvereinigung im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse ausübte. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg gab demgegenüber der Beklagten Recht. In Bezug auf den beigeladenen Turnverein folge dies laut Landessozialgericht bereits aus den bestandskräftigen Bescheiden vom 20. Juni 2012, wobei die Voraussetzungen für die Rücknahme dieser Verwaltungsakte nicht vorlägen. Hinsichtlich der beigeladenen Turnvereinigung habe die Klägerin bis in den Monat Juli 2014 kein Arbeitsentgelt erhalten und sei im Übrigen, auch was den Zeitraum bis November dieses Jahres betreffe, nicht abhängig beschäftigt. Die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung setze die Erzielung von Arbeitsentgelt voraus, woran es bis Juli 2014 fehle.
LSG verneint Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses Aufgrund der Regelung des § 3 Nr. 26 Satz 1 EStG, wonach Einnahmen unter anderem aus einer nebenberuflichen Tätigkeit als Übungsleiterin bis zur Höhe von insgesamt 2.400 Euro im Jahr steuerfrei sind, bestehe eine unwiderlegbare Vermutung, dass Einnahmen dieser Art als steuerfreie Aufwandsentschädigung anzusehen seien. Unerheblich sei laut Gericht, ob die entsprechenden Zahlungen als Vergütung für eine selbstständige oder abhängige Tätigkeit gezahlt werden. Die Klägerin habe 2013 den Höchstbetrag nicht überschritten, im Folgejahr erst während des Monats Juli. Soweit sie im gerichtlichen Verfahren bestritt, eine solche Aufwandsentschädigung erhalten zu haben, habe es sich um eine von ihrem Interesse am Erfolg des Rechtsstreits geleitete Schutzbehauptung gehandelt. Gegenüber der Turnvereinigung habe sie zuvor ausdrücklich die Abrechnung als "Übungsleiterpauschale" verlangt. Im Verwaltungsverfahren habe sie angegeben, dass die Vergütung solange als möglich so abgerechnet werden solle. Tatsächlich sei keine Steuer abgeführt worden. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis habe nach den tatsächlichen Umständen, auf die mangels schriftlicher Vereinbarung abzustellen sei, nicht bestanden.


Rechtsgrundlagen§ 7a Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch Die Beteiligten können schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstel-lung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet.
§ 3 Nr. 26 Satz 1 EStG Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten, aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder im Auftrag einer juristischen Person des öf-fentlichen Rechts, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, oder in der Schweiz belegen ist, oder einer unter § 5 Absatz 1 Nummer 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung - AO) bis zur Höhe von insgesamt 2.400 Euro im Jahr.

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Landessozialgericht Baden-Württemberg
  • Entscheidungsart:Urteil
  • Datum:21.02.2019
  • Aktenzeichen:L 10 BA 1824/18

Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online (pm/kg)