Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Eilantrag eines türkischen Staatsangehörigen aus Göttingen, der von den Behörden als islamistischer Gefährder eingestuft und dessen Abschiebung in die Türkei angeordnet worden ist, wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung stattgegeben.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ordnete am 5. April 2019 - gestützt auf § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) -gegen den 1990 in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Antragsteller, der sich seit Ende März 2019 in Haft befindet, die Abschiebung in die Türkei an. Die vorliegenden Erkenntnisse führten zu der Prognose, dass von dem Antragsteller eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und eine terroristische Gefahr ausgehe. Auch wenn den Sicherheitsbehörden aktuell noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden sei, gehe von ihm ein beachtliches Risiko aus, dass er wegen seiner radikal-religiösen Einstellung und seiner Sympathie mit dem "Islamischen Staat" einen terroristischen Anschlag begehen oder sich an einem solchen beteiligen werde. Gleichzeitig sei wegen seiner Gewaltbereitschaft zu befürchten, dass er eine derart gravierende Straftat verübe, die die Annahme einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik begründe.
BVerwG ordnet Aufschiebende Wirkung der Abschiebungsanordnung an
Auf den dagegen gerichteten Antrag ordnete der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der in
Fällen des § 58a AufenthG erst- und letztinstanzlich zuständig ist, die aufschiebende Wirkung
der gegen die Abschiebungsanordnung gerichteten Klage an. Nach dem derzeitigen
Erkenntnisstand - vorbehaltlich möglicher weiterer Erkenntnisse - bestehen ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, die bei der gebotenen Abwägung
der widerstreitenden Belange zu einer Aussetzung der Abschiebung führen. Die vom
Ministerium zur Begründung der Abschiebungsanordnung angeführten Erkenntnisse belegen
nicht hinreichend, dass vom Antragsteller gerade auch eine besondere Gefahr für die Sicherheit
der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG
ausgeht. Denn sie tragen bislang nicht die Bewertung, die inhaltliche Hinwendung des
Antragstellers zum radikal-extremistischen Islamismus habe nach Intensität und Nachhaltigkeit bereits einen Grad erreicht, der die Prognose rechtfertigt, bei dem im Grundsatz
gewaltbereiten Antragsteller bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten,
gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen
ein beachtliches Risiko i.S.d. § 58a AufenthG. Anderweitigen Gefahren, die vom Antragsteller
ausgehen, ist im Rahmen des allgemeinen Ausweisungsrechts (§§ 53 ff. AufenthG) sowie des
Polizei- und Ordnungsrechts zu begegnen. Sollten sich durch weitere Sachaufklärung des
Gerichts im Hauptsacheverfahren oder infolge der Vorlage neuer Erkenntnisse durch den
Antragsgegner für die Gefahrenprognose erhebliche Tatsachen - insbesondere in Bezug auf
den Grad seiner Radikalisierung - ergeben, kann dem im Rahmen eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden.
- Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
- Schleswig-holsteinische Abschiebungsanordnung gegen türkischen Gefährder bestätigt ( BundesverwaltungsgerichtUrteil[Aktenzeichen: BVerwG 1 A 16.17] )
- Abschiebung eines als Gefährder eingestuften Tunesiers weiterhin nicht möglich ( Verwaltungsgericht GelsenkirchenBeschluss[Aktenzeichen: 7a L 1200/18.A] )
- Abschiebung eines Gefährders trotz drohender Todesstrafe möglich ( BundesverfassungsgerichtBeschluss[Aktenzeichen: 2 BvR 632/18] )
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Bundesverwaltungsgericht
- Entscheidungsart:Beschluss
- Datum:25.06.2019
- Aktenzeichen:BVerwG 1 VR 1.19