Die Anordnung des paritätischen Wechselmodells betrifft das Sorge-, nicht das Umgangsrecht. Deswegen ist eine einstweilige Anordnung, mit der ein paritätisches Wechselmodell angeordnet wird, anfechtbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hervor.
Im zugrunde liegenden Fall hatten sich die Eltern der betroffenen Kinder im Rahmen gegenläufiger Sorge- und Umgangsanträge im Jahr 2018 auf das sogenannte paritätische Wechselmodell geeinigt. Die seinerzeit ein Jahr bzw. fünf Jahre alten Kinder wechselten seither mehrfach während der Woche zwischen den Eltern. Im Sommer 2019 beantragte die Mutter vor dem Familiengericht eine Abänderung der Vereinbarung und eine Anordnung des sogenannten Residenzmodells, bei dem die Kinder bei regelmäßigen Umgängen überwiegend von ihr betreut werden. Die Beteiligten behandelten das Verfahren als Umgangsverfahren (in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der umgangsrechtlichen Anordnung eines Wechselmodells). Die Eltern konnten sich in diesem Hauptsacheverfahren nicht auf eine
Betreuungsform einigen. Derzeit wird in diesem Verfahren ein Gutachten zu der Frage eingeholt, welche Betreuungsform mit dem Wohl der Kinder am besten vereinbar wäre.
Familiengericht leitet einstweiliges Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren ein
Das Familiengericht hat wegen der fehlenden Einigung außerdem von Amts wegen das hier
gegenständliche einstweilige Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren eingeleitet. Es
ordnete an, dass die Eltern nunmehr die Kinder wochenweise abwechselnd betreuen und ging
dabei davon aus, dass diese Anordnung in Anbetracht der fehlenden Anfechtbarkeit von
einstweiligen Anordnungen zum Umgang unanfechtbar bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens gelten wird.
OLG: Anordnung des paritätischen Wechselmodells betrifft nicht nur Umgangsregelung
Mit ihrem Rechtsmittel machte die Mutter nunmehr erfolgreich geltend, dass diese
Einschätzung unrichtig und damit eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung zulässig
ist. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main betonte in seiner Entscheidung, dass die Anordnung des paritätischen Wechselmodells eine sorgerechtliche Regelung enthält und nicht nur eine Umgangsregelung trifft. Entscheidungen über den Lebensmittelpunkt des Kindes - oder die paritätische Aufteilung eines Lebensmittelpunktes - fielen unter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, nicht unter das Umgangsrecht, so das Oberlandesgericht. Der Gesetzgeber habe ersichtlich mit "Umgang" eine den "Beziehungserhalt gewährende
Besuchsregelung" gemeint. Die elterliche Sorge, die sich auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht
erstrecke, beinhalte dagegen eine Aufenthaltslösung, die einen überwiegend betreuenden
Elternteil schaffe. Auch aus der Gesetzesgeschichte folge, dass der Gesetzgeber zwischen
einem betreuenden Elternteil und einem "nur" umgangsberechtigten Elternteil Entscheidungen
getroffen habe, die den unterschiedlichen Regelungsgehalt beider rechtlichen Kategorien
abbilden.
OLG widerspricht Rechtsprechung des BGH
Das Oberlandesgericht widersprach damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der trotz breit geäußerter Kritik daran festhalte, dass das Wechselmodell über eine Umgangsregelung angeordnet werden könne. Die Auswirkungen dieser nach Ansicht des Oberlandesgerichts unrichtigen Einordnung zeigten sich besonders deutlich in dem vorliegenden Verfahren: Sie habe zur Folge, dass einstweilige Anordnungen unanfechtbar wären, obwohl sie für Monate - wenn nicht Jahre - elementare Lebensbedingungen für Kinder und Eltern festschrieben. Dies betreffe faktisch unabänderlich nicht nur die persönlichen Belange, sondern auch Unterhaltsfragen, das Recht auf staatliche Unterhaltsvorschüsse, Meldeverhältnisse etc.
Einordnung in Umgangsrecht würde zu unerwünschter Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse führen
Die Einordnung in das Umgangsrecht führe auch zu einer vom Gesetzgeber unerwünschten
Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse. Grundsätzlich sei das in Art. 6 GG verwurzelte
Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren. Einstweilige Anordnungen von Amts wegen
könnten in Sorgerechtsverfahren deswegen nur bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung
ergehen. Diese Eingriffsschwelle würde untergraben, wenn das paritätische Wechselmodell als
Umgangslösung gedacht und von Amts wegen angeordnet werden könne.
Kindeswohlgefährdung im vorliegenden Fall nicht erkennbar
Der Beschluss des Familiengerichts wurde aufgehoben, weil kein Elternteil eine Abänderung
der ursprünglich getroffenen Vereinbarung im Eilverfahren beantragt hatte und das Oberlandesgericht keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung erkennen konnte. Die Eltern hatten sich ohnehin für die Zeit des schwebenden Verfahrens auf eine leicht geänderte und mit weniger Wechseln verbundene Betreuung der Kinder geeinigt.
Erläuterungen:
BGH zur Möglichkeit, nach § 1684 BGB auch eine Umgangsregelung mit jeweils der Hälfte der
Zeit beim Vater und der Mutter zu treffen: BGH, Beschluss vom 1.2.2017 - XII ZB 601/15
Offengelassen vom 1. Familiensenat des OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.10.2018 -
1 UF 74/18, siehe Pressemitteilung Nr. 54/18 vom 14.11.2018
§ 57 FamFG Rechtsmittel
1Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nicht
anfechtbar. 2Dies gilt nicht in Verfahren nach § FAMFG § 151 Nummer 6 und 7 und auch nicht,
wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung
• 1. über die elterliche Sorge für ein Kind,
• 2. ...
entschieden hat.
§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen
gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so
hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich
sind.
(2) ...
§ 1671 BGB Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern
(1) 1Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge
gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche
Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. 2Dem Antrag ist stattzugeben,
soweit
• 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet
und widerspricht der Übertragung, oder
2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung
auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
• (2) ...
- Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
- Paritätisches Wechselmodell der Eltern: Kindeswohl entscheidet über Berechtigung des Kindergeldbezugs ( Oberlandesgericht CelleBeschluss[Aktenzeichen: 19 UF 24/18] )
- Paritätisches Wechselmodell zur Betreuung des Kindes auch gegen den Willen eines Elternteils möglich ( BundesgerichtshofBeschluss[Aktenzeichen: XII ZB 601/15] )
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Entscheidungsart:Beschluss
- Datum:29.01.2020
- Aktenzeichen:2 UF 301/19