Im Schiedsverfahren kann das Schiedsgericht dem Schiedsspruch auch Ergebnisse eigener Internetrecherchen zugrunde legen. Ob das Schiedsgericht verspäteten Vortrag zu Recht berücksichtigt hat, ist im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nicht zu prüfen. Das Erforschen der materiellen Wahrheit geht insoweit dem Interesse an dem Einhalten von Verspätungsvorschriften vor. Das OLG erklärte mit am 26.03.2021 veröffentlichter Entscheidung einen Schiedsspruch zwischen zwei Pharmaunternehmen über gut 140 Mio. € für vollstreckbar.
Die Antragstellerin ist eine österreichische pharmazeutische Gesellschaft, die auf Arzneimittel
für seltene Krankheiten spezialisiert ist. Die taiwanesische Antragsgegnerin ist
eine Biotechnologie-Gesellschaft und Inhaberin aller Rechte an einem Alpha-Interferon.
Die Zusammenarbeit der Parteien betraf die kommerzielle Nutzung dieses Wirkstoffes
zur Entwicklung eines Medikaments u.a. gegen seltene Blutkrebsarten. Die Parteien
schlossen einen Lizenz- und Herstellungsvertrag. Darin verpflichtete sich die Antragsgegnerin
u.a. dazu, der Antragstellerin die Lizenz zur Nutzung in klinischen Studien zu
erteilen, während die Antragstellerin die für eine Zulassung in Europa erforderlichen
klinischen Studien bezahlt. Die Parteien vereinbarten zudem eine Schiedsklausel. Nachdem es zu Verzögerungen bei den Studien gekommen war, kündigte die Antragsgegnerin wegen behaupteter Pflichtverletzungen die Lizenzvereinbarung.
Schiedsklage erfolgreich
Die Antragstellerin erhob daraufhin eine Schiedsklage, mit der sie zuletzt die Zahlung
ihres entgangenen Gewinns wegen der Verzögerung der Zulassung des gemeinsam
entwickelten Medikaments und des daraus resultierenden verspäteten Markteintritts
fordert. Das Schiedsgericht hatte daraufhin die Antragsgegnerin zur Zahlung von
gut 140 Mio. € verurteilt und festgestellt, dass die Lizenz- und Herstellungsvereinbarungen
weiterhin gültig seien. Die Antragstellerin beantragt nunmehr vor dem OLG, diesen Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Die Antragsgegnerin verlangt dagegen dessen Aufhebung.
Eigene Internet-Recherchen des Schiedsgerichts sind zulässig
Das OLG ist dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nachgekommen. Es stellte fest, dass dem Antrag keine Versagungs- oder Aufhebungsgründe entgegenstünden. Die Antragsgegnerin rüge insbesondere ohne Erfolg, dass das Schiedsgericht eigene Recherchen im Internet angestellt und den Schiedsspruch darauf gestützt habe. Dem Schiedsgericht habe es freigestanden, die „ihm angemessen erscheinenden Internet- Recherchen vorzunehmen“. Zudem habe die Antragsgegnerin selbst auf die berücksichtigte Internetseite hingewiesen. Darüber hinaus gelte im Schiedsverfahren auch nicht der zivilprozessuale Grundsatz, dass die Parteien den Streitstoff selbst beibringen müssten. Das Schiedsgericht könne vielmehr den Sachverhalt auch von Amts wegen ermitteln.
Berücksichtigung von verspätetem Beweisangebot zulässig
Ohne Erfolg rüge die Antragsgegnerin zudem, dass das Schiedsgericht ein neues Beweisangebot der Antragstellerin in deren letzten Schriftsatz noch zugelassen habe. Im
Zivilprozess sei grundsätzlich vom Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen, ob das Ausgangsgericht
Vorbringen zu Recht oder zu Unrecht zugelassen habe. Hintergrund hierfür
sei, dass die Zulassung des verspäteten Vorbringens der Wahrheitsfindung diene.
Das Interesse an einer materiell richtigen Entscheidung sei höher zu bewerten als das
Interesse an einer prozessual richtigen Behandlung der Verspätungsvorschriften. Es sei
nicht ersichtlich, warum dieser zivilprozessuale Grundsatz nicht auch im Verhältnis zwischen
dem schiedsgerichtlichen Verfahren einerseits und dem Vollstreckbarerklärungs- und
Aufhebungsverfahren vor dem OLG andererseits gelten sollte. Demnach komme es
nicht darauf an, ob das Schiedsgericht zu Recht oder Unrecht das Beweisangebot berücksichtigt
habe.
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Entscheidungsart:Beschluss
- Datum:25.03.2021
- Aktenzeichen:26 Sch 18/20