Urteil wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zum Nachteil zweier Jesidinnen im Strafausspruch weitgehend aufgehoben

Das Oberlandesgericht München muss neu über die Strafe für die niedersächsische IS-Rückkehrerin Jennifer W. entscheiden, die dem Sterben eines versklavten Mädchens im Irak tatenlos zugesehen haben soll. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass das Münchner Urteil Rechtsfehler enthalte. Die Revision des Generalbundesanwalts hatte damit Erfolg. Die Revision der Angeklagten hat der Bundesgerichtshof durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen, weil die Beschwerdeführerin eine Verfahrensrüge nicht zulässig erhoben und die materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils keinen ihr nachteiligen Rechtsfehler ergeben hat.

Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen reiste die in Deutschland geborene und zum Islam konvertierte Angeklagte Ende August 2014 im Alter von 23 Jahren nach Syrien in das damalige Herrschaftsgebiet der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) aus und schloss sich ihr an. In Rakka heiratete sie vor einem IS-Gericht ein für die Organisation tätiges - mittlerweile rechtskräftig verurteiltes - männliches Vereinigungsmitglied. Kurz zuvor hatte dieser zwei beim Angriff des IS auf die Sindschar-Region gefangengenommene Jesidinnen, die Nebenklägerin und deren im Kleinkindalter befindliche Tochter, als Sklavinnen gekauft.
Angeklagte lässt versklavtes Mädchen verdursten
Die Angeklagte zog mit ihm und den beiden Jesidinnen in den Irak nach Falludscha. Dort hielt das nach islamischem Ritus getraute Paar die "Haussklavinnen" im Sommer 2015 zirka eineinhalb Monate in Gefangenschaft. Die Angeklagte wies die Nebenklägerin an, ihr den Haushalt zu führen. Gemeinsam mit ihrem Mann forderte sie von der Nebenklägerin und deren Tochter mehrmals täglich, islamische Gebetsriten zu befolgen, und gab dem Kind einen muslimischen Namen, mit dem es auch dessen Mutter ansprechen musste. Er misshandelte beide regelmäßig, um sie zu bestrafen und zu disziplinieren, teils aus eigenem Antrieb, teils auf Beschwerden der Angeklagten hin. Diese förderte durch ihr Handeln bewusst und gewollt die IS- Politik der Vernichtung der jesidischen Religion und der Versklavung der weiblichen jesidischen Bevölkerung. An einem Tag Anfang August 2015 band der Mann der Angeklagten die Fünfjährige bei starker Hitze an das im Hof seines Hauses befindliche Außengitter eines Fensters, so dass sie direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt war und sich nicht mit den Beinen abstützen konnte. Die Angeklagte schritt nicht ein, auch als sie die Lebensgefahr erkannte. An den Folgen des Fesselns und Aufhängens verstarb das Mädchen. In dem Zeitpunkt, als die Angeklagte dessen Tod billigend in Kauf nahm, wäre es allerdings nicht mehr zu retten gewesen. An dem Tag des Geschehens oder kurz danach hielt sie der um ihr Kind weinenden Nebenklägerin eine Pistole an den Kopf und drohte ihr, sie zu erschießen, wenn sie damit nicht aufhöre.
OLG verhängte eine Gesamtfreiheitstrafe von zehn Jahren
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagten als Mitglied des IS gemeinschaftlich mit ihrem Mann vorgenommene Versklavung einschließlich des hierdurch verursachten Todes des Kindes gewertet als zwei tateinheitliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, eins mit Todesfolge (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VStGB), in Tateinheit mit durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Versuch des Mordes, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Tötung und des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung sowie mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Der Strafzumessung hat es als höchste Sanktionsandrohung (§ 52 Abs. 2 StGB) den Strafrahmen zugrunde gelegt, der für den minder schweren Fall des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge gesetzlich vorgesehen ist (§ 7 Abs. 4 Alternative 1 VStGB). Wegen dieser Tat hat es die Angeklagte mit einer Freiheitsstrafe von neun Jahren belegt. Die vereinigungsbezogenen Tätigkeiten, welche sie als IS-Mitglied getrennt von der Versklavung der Nebenklägerin und ihrer Tochter ausübte, hat das Oberlandesgericht als weiteren selbständigen Fall der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beurteilt und deswegen auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt. Die beiden Einzelstrafen hat es auf eine Gesamtfreiheitstrafe von zehn Jahren zurückgeführt. Gegen das Urteil haben sowohl der Generalbundesanwalt als auch die Angeklagte Revision eingelegt. Die Bundesanwaltschaft hat mit ihrem auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel ausschließlich weite Teile des Strafausspruchs angefochten und dabei die rechtsfehlerhafte Annahme eines minder schweren Falls des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge beanstandet. Die Angeklagte hat mit ihrem unbeschränkt erhobenen Rechtsmittel ohne weitere Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
BGH: OLG-Annahme eines minder schweren Falls ist rechtsfehlerhaft
Auf die Revision des Generalbundesanwalts hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts in den Aussprüchen über die Einzelstrafe in dem Fall des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge in Tateinheit mit weiteren Delikten und über die Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Annahme eines minder schweren Falls erweise sich als rechtsfehlerhaft. Denn das Oberlandesgericht habe ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe bei der diesbezüglichen Prüfung die Straftatbestände, welche die Angeklagte zugleich mit dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge verwirklicht habe, insbesondere die Beihilfe zu den versuchten Tötungsdelikten, als für die Strafrahmenwahl bedeutungslos befunden. Es habe somit verkannt, dass die Verletzung mehrerer Strafgesetze durch eine Tat grundsätzlich strafschärfend wirke.
Menschenverachtende Beweggründe und Ziele zu beachten
Im Übrigen habe das OLG die menschenverachtenden Beweggründe und Ziele der Angeklagten unberücksichtigt gelassen hat, die sich nach den Urteilsfeststellungen aufdrängten. Wie sich klarstellend aus dem Gesetz ergebe (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB), sei eine solche Tatmotivation regelmäßig strafzumessungsrechtlich beachtlich. Menschenverachtend sei eine in der strafbaren Handlung zum Ausdruck gekommene Gesinnung des Täters, welche die vermeintliche Andersartigkeit einer Personengruppe als Rechtfertigung dazu missbraucht, Menschenrechte der Opfer zu negieren und ihre Menschenwürde zu verletzen, etwa im Fall von gegen die religiöse Orientierung gerichteten Handlungsmotiven oder -zwecken. So liege es naheliegend hier. Die Angeklagte habe sogar die vom Verbrechen des Völkermordes vorausgesetzte Absicht der den Angriff auf die Jesiden der Sindschar-Region anordnenden Führungskräfte des IS gekannt und gebilligt, diese religiöse Gruppe als solche zu zerstören.

  • Vorinstanz:
    • Oberlandesgericht MünchenUrteil[Aktenzeichen: 8 St 9/18]

Angaben zum Gericht:

  • Gericht:Bundesgerichtshof
  • Entscheidungsart:Beschluss
  • Datum:09.03.2023
  • Aktenzeichen:3 StR 246/22

Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)